Vom MYSTERIUM der ANGST

Lieber Mensch,

ein zaghafter Sommertag über den Dächern von Frankfurt neigt sich dem Ende zu. Wieder einmal ein Abend in einer mir immer noch fremdartig vertrauten Stadt. Auch heute war sie erneut gegenwärtig in meinen Begegnungen - die Angst. Angst ist uns allen bekannt und sie gehört zu unser aller Leben. Angst begleitet uns von unserer Geburt bis zum Tod in immer neuen Abwandlungen. Ich meine, Ängste haben ein Recht auf Achtung, Ängste sind keine Missgeschicke, sondern noch unerlöste, unbewusste Seelenanteile. Je länger ich mich mit der menschlichen Seele beschäftige, desto unzureichender erscheint mir das Sprachspiel der akademischen Psychologie. Über Angst könnte gedichtet, getanzt, musiziert oder gemalt werden. Vielleicht kann dieser Text dich anregen oder dir helfen, dich und andere besser zu verstehen und gerechter zu urteilen.

Manche Wege im Leben führen an einem Drachen vorbei, und sehr oft sind es Wege, die am allergeradesten nach Hause führen.
— Manfred Kyber

Ich meine, will ich eine Störung einschätzen, so setzt dies eine gründliche Kenntnis der regulären Entwicklung voraus.  Angst ist ein seelisches Urphänomen und ein wichtiger Bestandteil menschlicher Erfahrungen. Um Angst in ihren "pathologischen" Formen verstehen zu lernen, ist es meines Erachtens unbedingt notwendig, Kenntnis zu haben von gesunder, entwicklungsgerechter Angst. 

 

Angst ist kein Fehler

Durch die Angst drückt sich eine kostbare Seelenfähigkeit in die Welt. Diese Fähigkeit kann sich nun gleichsam verlieren, verirren in Krankheit. Angststörungen nehmen seit Jahren kontinuierlich zu. Ich meine, es geht darum, das Wesen der Angst zu durchschauen und durch eine Lehre, die ich die "Kraft des eigenen Ichs" nenne, die Spitze zu nehmen und hierdurch zugleich Ermutigung und Vertrauen zu lehren. Mut und Vertrauen in das eigene ICH. 

Heilung ist Auseinandersetzung

Um es noch einmal deutlicher zu sagen: Angst vor der Angst zu haben, macht in meinen Augen wenig Sinn. Sich nicht auf Beängstigendes einzulassen, wegzulaufen oder sich zu verlieren in spiritueller, esoterischer Wohlfühlmentalität macht nicht gesund, sondern erst recht krank. So wie ein Kranker, der sich durch schmerzbetäubende Mittel in eine Illusion von Gesundheit begibt. Ich meine, der Weg der Betäubung ist oft ein Weg der Verdrängung. Der Weg der Heilung ist der, der Auseinandersetzung. 

Vom Mut zur Angst

Der eher mutige Mensch unterscheidet sich vom Ängstlichen nicht dadurch, dass er etwa gar keine Angst hätte, sondern der Unterschied besteht darin, dass es dem einen gelingt, die Angst einzubeziehen und zu verwandeln, dem anderen hingegen nicht. Meiner Erfahrung nach ist das Entscheidende, dass wir nicht versuchen, die Angst zu verdrängen, zu betäuben, zu überspielen oder zu leugnen, sondern Wege zu suchen, diese auszuhalten, ganz zu fühlen, das Wesen der Angst zu ergründen und somit für unsere Entwicklung fruchtbar zu machen. 

Und ist Angst nicht auch so etwas wie Scheu? Und ist nicht der Umgang, die Begegnung mit einem scheuen Wesen etwas sehr Angenehmes, Anrührendes, ein Urbild dessen, an das sich Assoziationen von Unschuld und Reinheit knüpfen? Ich meine, Menschen, die behaupten, niemals ängstlich zu sein, sagen die Unwahrheit - bewusst oder da sie in einer Art Täuschung über sich selbst leben. 

HILF MIR, ES SELBST ZU TUN - ein Gedankenspiel ...

Ja, die Angst eines Menschen kann in seinen Kindheitserfahrungen und lebensbiografischen Kontexten begründet sein. Ich meine, dass die Ursache-Wirkung-Kette "schwere Kindheit - schwere Angst" zu einfach ist und dass sich das heutige psychologische Denken zu sehr verrannt hat in die Vorstellung, der seelisch Leidende sei immer und notwendigerweise ein erziehungsgeschädigter Mensch. Ich behaupte, dass die weit verbreitete Neigung Konfliktlosigkeit = Gesundheit ein fataler Irrtum ist. Und meine, ein gewisses Maß an Leid gehört zum Wachstum. Könnte es nicht manchmal hilfreicher, wegweisender und zugleich erlösender sein, den Menschen, das Kind, nicht als ein eigenschaftsloses Wesen zu betrachten mit dieser oder jener erblichen Veranlagung? Oder als Summe seiner menschlichen Erfahrungen? Sondern auch als Individualität mit eigenem,  auch in frühere Lebensläufe zurückweisendem Schicksalshintergrund?  Und eigenen, gesetzten Entwicklungszielen - also vielleicht einer Veranlagung zum Ängstlichsein?

Und lieber Mensch, könnte es sein, dass der andere Mensch mir und dir entgegentritt mit einer Frage und Aufforderung zugleich: Da ist etwas, eine Schwierigkeit, die ich mitgebracht habe und bewältigen will. Hilfst du mir dabei?

Sommerworte mit einem Funken Sonne. Herzlichst - Ihre und deine